Sexualität mit und nach Gebärmutterkrebs - Gemeinsam klare Worte finden



Frau Niemeier, was genau macht eigentlich eine Sexualberaterin? Und wie oft suchen Menschen Ihren Rat, deren Sexualleben während oder nach einer Krebserkrankung gestört oder eingeschränkt ist, oder schlichtweg nicht mehr existiert?

 

Es gibt viele unterschiedlich ausgebildete Sexualbera-terinnen. Manche arbeiten auf der körperlichen Ebene, andere - so wie ich - sind im Bereich der Kommunikation tätig. Zu mir kommen Menschen, die Schwierigkeiten haben, über Sexualität zu sprechen. Ich bin jedoch eine Sexualberaterin, die weniger über Sex spricht, sondern viel mehr über die Frage: „Wie spreche ich über Sex?". Ich biete einen geschützten Raum, in dem Menschen alles sagen können, was sie sagen möchten. Etwa ein Drittel meiner Klientinnen sind Frauen mit Krebserkrankungen, in der Regel im Alter zwischen 40 und über 50.

 

Bei der Therapie gynäkologischer Krebserkran-kungen, wie beispielsweise Gebärmutterkrebs, ist der Körper oftmals radikalen Eingriffen und Veränderungen durch die Operation oder medikamentöse Therapie ausgesetzt. Inwiefern können sich diese auf die sexuelle Gesundheit, Lust und Intimität der Betroffenen auswirken?

 

Es kann durchaus passieren, dass das Sexualleben, so wie es früher war, nicht mehr funktioniert. Darüber hinaus resultieren aus den körperlichen und auch seelischen Veränderungen oftmals zahlreiche Fragen: Wie definiere ich nun meine Identität als Frau? Bin ich noch dieselbe Frau wie vorher? Wie finde ich zurück? Definiere ich mich neu?

Oder auch zu verstehen, dass dieser Umbruch die Chance bietet, sich zu überlegen, was vorher gut war, was nicht, und was man ändern möchte, um die erfüllende Sexualität zu leben, die man sich wünscht. Im Allgemeinen herrscht immer noch die gesellschaftliche Ansicht, dass Sex Pene-trationssex - also Penis in Vagina - ist. Es wird ein bisschen rumgeschunkelt, er kommt, sie kommt meistens nicht - und das ist dann angeblich „guter Sex". Mit erfüllter Sexualität hat das meines Erachtens nicht viel zu tun, dazu braucht es doch mehr Ingredienzien: Vertrauen, Neugierde, Körperbewusstsein, Selbstbewusstsein, Lust und alle 5 Sinne.

 

Dabei ist es wichtig, die eigene Lust zu entdecken, oder - wie nach einer Krebserkrankung - neu neu zu erforschen.

Sich des eigenen Körpers und der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden und wieder ins Spüren zu kommen.

Dazu gehört unter anderem, sich wieder zu trauen, sich selbst zu berühren, und vielleicht auch durch Solo-Sex zu erfahren, was als erregend empfunden wird. Der nächste Schritt wäre dann, den Partner oder die Partnerin einzubeziehen und darüber zu sprechen.

 

Vielen Menschen fällt es schwer, über die eigenen Gefühle, sexuellen Bedürfnisse oder den Körper zu reden. Haben Sie Tipps für unsere Leserinnen, die ihnen helfen, offen und ohne Hemmungen über ihre Wünsche, Bedürfnisse sowie Probleme oder Beschwerden zu reden?

 

Je älter die Frauen sind oder je länger sie in Beziehungen sind, und je länger ihre Sexualität nach demselben Schema abgelaufen ist, desto schwerer fällt es ihnen und ihren Partnerinnen häufig, darüber zu sprechen. Und dann kommt bei vielen die Angst, gerade nach einer so einschneidenden Krebserfahrung: Wie sage ich denn nur, was ich wirklich möchte? Wie sage ich, wie ich mich gerade fühle und welche Angste ich habe?

 

Um die Kommunikation in Gang zu bringen, habe ich sieben Tipps.

Erstens: Verabreden Sie sich mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zu einem festen Zeitpunkt, um das Gespräch zu führen. Vielleicht bei einem schönen Spa-ziergang. Im Alltag oder nebenbei lässt es sich nicht gut darüber reden oder man verfällt in bekannte Routinen.

Zweitens: Definieren Sie Gesprächsregeln, wie beispielsweise ausgewogene Redezeiten, dass niemand dem anderen ins Wort fällt und dass die Handys liegenbleiben.

Drittens: Bereiten Sie sich auf das Gespräch vor.

Worüber genau möchten Sie sprechen? Welchen Wunsch möchten Sie äußern? Geben Sie auch ihrem Partner oder ihrer Partnerin die Möglichkeit, sich vorzubereiten.

Viertens: Lassen Sie sich gegenseitig Raum und Zeit.

Erwarten Sie nicht sofort eine Antwort. Hören Sie wirklich zu, preschen Sie nicht vor, sondern halten Sie einfach mal inne und nehmen das Gesagte wahr mit allen Gedanken und Gefühlen, die aufkommen.

Fünftens: Beziehen Sie den anderen ein. Lassen Sie Raum für ihre oder seine Darstellungen, Wahrnehmungen und Gefühle. Ermöglichen Sie Rückfragen. Jeder darf Lösungsmöglichkeiten äußern. Schauen Sie dann, ob es Schnittmengen gibt.

Sechstens: Ein gutes Gespräch endet mit einer Einigung und nicht mit der Niederlage einer Person! Gespräche über Sexualität sind nicht einfach. Sie brauchen viel Mut, denn es geht um die intimsten Wünsche, Verletzungen, Empfindlichkeiten und Bedürfnisse!

Siebentens: Gehen Sie wieder auf Los und starten Sie mit kleinen Zuneigungsbekundungen, mit denen Sie sich wohlfühlen. Ebenso bedeutend ist die Beschäftigung mit sich selbst und mit dem, was einem gefällt. Fragen Sie auch Ihren Partner oder Ihre Partnerin, was ihm oder ihr guttut.

Alle Wünsche, Befürchtungen und Ängste sollten proaktiv und offen thematisiert werden.

Und schließlich: Wenn Sie das Gefühl haben, dass die Kommunikation an ihre Grenzen gerät, können Sie professionelle Hilfe hinzuziehen.

 

Wie findet man gute Sexualtherapeut: innen oder-berater:innen? Und übernehmen die Krankenkassen die Kosten?

 

Es läuft ähnlich wie die Suche nach einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin. Auf den Internetseiten der Anbieter sollte man schauen, wie diese arbeiten.

In erster Linie kommt es dann aber auf das persönliche Matching an. Viele Kolleg:innen bieten - wie ich - ein kostenloses Vorgespräch an, in dem geschaut wird, ob man sich wohl und gut aufgehoben fühlt. Die Kostenübernah-me hängt von der konkreten Ausbildung der Therapeuten und Berater sowie von den Bestimmungen der jeweiligen Krankenkasse ab. Hier sollte man sich vorab informieren.

 

Gibt es Bücher, die Sie unseren Leserinnen empfehlen können?

Ja, auf jeden Fall: Liebe würde Slow Sex machen von Yella und Samuel Cremer oder Body Love - Dein Körper ist der Schlüssel zur Selbstliebe von Coco Berlin. Außerdem Orgasmic Woman. In 30 Tagen zu mehr Selbstliebe von Mara Stadick, Vivien Schlitter und Natalia Alicja Dziwich sowie Klappt's? Vom Leistungssex zum Liebespiel - Ein Übungsbuch für Männer von Michael Szten.

 

Frau Niemeier, vielen Dank für das Interview zu diesem wichtigen Thema, das Jung und Alt umtreibt.

 

Das Interview führte Bettina