Immuntherapien und neue Substanzen in der Gebärmutterkrebstherapie



Professor Pietzner, was versteht man unter dem Begriff „Immuntherapie"? Und wie funktioniert diese?

„Immuntherapie" ist ein sehr weit gefasster Begriff. Es geht darum, das körpereigene Immunsystem dazu zu bringen, den Krebs zu bekämpfen. Dafür gibt es seit einiger Zeit verschiedene Ansätze: beispielsweise Interleukine, sprich körpereigene Botenstoffe der Zellen des Immunsystems, oder Tumorimpfungen, die das Immunsystem zur Bekämpfung von Tumoren anregen sollen. Unter Immuntherapie im modernen Sinne verstehen wir heute aber eher die sogenannten Checkpoint-Hemmer. Dabei handelt es sich um Antikörper, die an der Schnittstelle zwischen Immunzelle und Tumorzelle arbeiten.

 

Tumorzellen können sich durch einen Trick vor dem Immunsystem verstecken. Normalerweise haben die zu den Immunzellen gehörendenden T-Zellen die Fähigkeit, Tumorzellen zu erkennen und abzutöten. Die Tumorzel-le wehrt sich dagegen mithilfe von Molekülen aus dem sogenannten Immun-Checkpoint. Über diese Moleküle kann die Tumorzelle die T-Zelle abschalten. Mithilfe von Checkpoint-Hemmern - in der Medizin spricht man von Checkpoint-Inhibitoren - lässt sich dieser Mechanismus blockieren, sodass die T-Zelle die Tumorzelle zerstören kann.

 

Warum haben Immuntherapien einen so hohen Stellenwert in der Gebärmutterkrebstherapie?

Zunächst wurden Immuntherapien beim Eierstockkrebs eingesetzt, jedoch ohne größere Erfolge. Ein Grund dafür könnte sein, dass diese Erkrankung durch das Immunsystem nicht gut erkannt wird, also nur gering immunogen ist. Schwarzer Hautkrebs hingegen ist sehr immunogen.

 

Das Immunsystem würde ihn eigentlich sofort angreifen, wenn er sich nicht mithilfe der Checkpoint-Moleküle so gut dagegen wehren könnte.

 

Beim Gebärmutterschleimhautkrebs, kurz Gebär-mutterkrebs, gibt es nun ganz unterschiedliche Formen, zum Beispiel solche, die durch DNA-Reparatureffekte entstehen. Dies betrifft vor allem Patientinnen, die ein sogenanntes Lynch-Syndrom haben und deren Tumore molekulare Merkmale wie Mikrosatelliteninstabilität

(MSI-H) oder eine defekte Mismatch-Reparatur (dMMR) aufweisen. Bei dieser Patientinnen-Gruppe hat der Tumor Probleme, seine DNA zu reparieren, oder er ist sogar erst durch den Reparaturdefekt entstanden. In diesen Fällen sind die Tumorzellen sehr gut durch das Immunsystem erkennbar. Jedoch setzt sich auch hier der Tumor mithilfe der Checkpoint-Moleküle gegen das Immunsystem zur Wehr. Der DNA-Reparaturdefekt führt allerdings dazu, dass Immuntherapien bei diesen Patientinnen besonders wirksam sind.

 

Welche Immuntherapien sind derzeit in Deutschland für welche Patientinnen-Gruppen zugelassen?

Zurzeit sind zwei Immuntherapien für Patientinnen mit rezidiviertem, unheilbarem Gebärmutterkrebs zugelassen, die in der Erstbehandlung eine Chemotherapie erhalten haben. Patientinnen mit genetischem Reparaturdefekt erhalten die Checkpoint-Hemmer Pembrolizumab oder  Dostarlimab als Monotherapie, für Patientinnen ohne diesen Defekt ist Pembrolizumab in Kombination mit dem Kinase-Blocker Lenvatinib verfügbar.

 

Werden bald noch weitere Patientinnen von Immuntherapien profitieren können? Wie ist die aktuelle Studienlage?

Momentan sind Checkpoint-Hemmer noch nicht für Patientinnen mit erstmalig diagnostiziertem Gebärmut-terkrebs zugelassen. Allerdings tut sich gerade enorm viel in diesem Feld. In diesem Jahr wurden die Zwischenergebnisse der NRG-GY018-Studie und der RUBY-Studie veröffentlicht. Dabei handelt es sich um zwei bahnbrechende Studien, die die Wirksamkeit von Pembrolizumab und Dostarlimab in der Erstlinientherapie untersuchten.

Die Ergebnisse sind wirklich beeindruckend.

 

In die NRG-GY018-Studie wurden 816 Patientinnen mit fortgeschrittenem Gebärmutterkrebs im Stadium III oder IV mit und ohne Mismatch-Reparatur-Defekt einge-schlossen. Sie wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Gruppe 1 erhielt die Standard-Chemotherapie, bestehend aus Paclitaxel und Carboplatin sowie zusätzlich ein Placebo, also ein Scheinmedikament. Gruppe 2 erhielt anstelle des Placebos den Checkpoint-Hemmer Pembrolizumab. Die Auswertung der Studiendaten zeigte, dass die Patientinnen in Gruppe 2 eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit hat-ten, kein Rezidiv zu bekommen. Für Frauen mit Mis-match-Reparatur-Defekt (dMMR) lag diese sogar bei sehr beeindruckenden 70 Prozent. Frauen ohne Mismatch-Re-paratur-Defekt profitieren nicht ganz so stark, hatten aber immerhin noch eine 46-prozentige Wahrscheinlich, kein Rezidiv zu bekommen, was auf jeden Fall immer noch ein riesiger Effekt ist, den wir beim Gebärmutterkrebs bisher noch nicht gesehen haben.

 

Der Aufbau der RUBY-Studie, an der knapp 500 Patientinnen teilnahmen, ist im Prinzip der gleiche, nur dass hier der Checkpoint-Hemmer Dostarlimab verwendet wurde. Auch die Ergebnisse entsprechen in etwa denen der NRG-GY018-Studie. Darüber hinaus zeigen die Daten der RUBY-Studie ein deutlich verlängertes Gesamtüberleben bei den Patientinnen, die eine Immuntherapie erhielten.

 

Die Zulassung beider Substanzen für die Erstlinien-therapie ist beantragt. Bis es so weit ist, wird es aber noch etwas dauern. Gegebenenfalls können Patientinnen bis dahin mithilfe ihres behandelnden Arztes einen sogenannten Off-Label-Use-Antrag bei ihrer Krankenkasse stellen. Die Kassen sind jedoch nicht verpflichtet, diesem zu folgen.

 

Wie lässt sich feststellen, ob eine Patientin auf die Immuntherapie anspricht?

Neben der klinischen Einschätzung kommt hierbei die Bildgebung, beispielsweise mittels Computertomographie, zum Einsatz. Die Patientinnen werden dann in vier Kategorien eingeteilt. Kategorie 1 wäre ein Misserfolg in dem Sinne, dass der Tumor trotz Immuntherapie wächst oder Metastasen bildet. Die Kategorien 2 bis 4 stellen Erfolgssituationen dar: Kategorie 2 steht für einen Stopp des Tumorwachstums, Kategorie 3 für eine teilweise Rückbildung des Tumors und Kategorie 4 für eine vollständige Rückbildung. Einen Tumormarker, der sich im Blut nachweisen ließe, gibt es beim Gebär-mutterkrebs nicht.

 

Wie ist Ihre Einschätzung: Wie sieht die Zukunft der Behandlung des Gebärmutterkrebses aus?

Zukünftig glaube ich daran, dass die sogenannten Antibody Drug Conjugates ADCs eine herausragende Rolle spielen werden, gegebenenfalls in Kombination mit Checkpoint-Hemmern. Außerdem spannend ist die Weiterentwicklung von Tumorimpfungen.

 

Professor Pietzner, vielen Dank für Ihre Ausführungen und Ihren Einblick in die spannende Studienlage zur Immuntherapie beim Gebärmutterkrebs. 



PROF. DR. MED. KLAUS PIETZNER

OBERARZT AN DER KLINIK FÜR GYNÄKOLOGIE MIT ZENTRUM FÜR ONKOLOGISCHE CHIRURGIE, CHARITÉ-UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN;

LEITER JUNGE AKADEMIE-GYNÄKOLOGISCHE ONKOLOGIE (JAGO) |